Eine Weltreise mit Kind zu machen, davon träumen viele Familien. Doch oft lassen die nötigen Finanzen oder aber die Schulpflicht den Traum schnell platzen. Die alleinerziehende Mutter Svetlana aus Berlin hat es getan: Sie und ihre damals achtjährige Tochter reisen nun seit drei Jahren durch die Welt. Ich habe mit der mutigen Mutter gesprochen.
Seit wann reist du mit deiner Tochter und warum?
Im Herbst 2015 haben wir unsere erste lange Reise gestartet. Mit einem One-Way-Ticket nach Malaysia, ohne einen Plan und ohne eine Vorstellung, wohin und wie lange wir reisen werden. Ich weiß noch, wie verunsichert, voller Ängste und Sorgen ich am Anfang der Reise war. In unserem Film “Anna, Asien und Ich. 250 Tage unterwegs” Teil 1, welchen ich dieses Jahr zusammen mit Anna produziert habe, geht es um diese Zeit, um den Anfang unserer „Reisekarriere“.
Ich wollte erleben, wie es sich anfühlt, völlig frei zu sein und ich wollte schauen, wie ich mit dieser Freiheit umgehen werde. Ich musste meiner Tochter zeigen, dass unsere Welt mehr zu bieten hat, als die Schule und das Warten auf die Ferien. Deshalb bemühe ich mich ihr zu zeigen, dass man das eigene Leben selbst gestalten kann und auch sollte.
Seid ihr in Deutschland noch gemeldet?
Wir haben uns abgemeldet und haben nirgendwo einen offiziellen Wohnsitz. Unser Zuhause ist da, wo es uns beiden gut geht.
Vermisst Anna ihre Familie oder Freunde von Deutschland?
Diese Frage hat meine Anna für Dich selbst beantwortet: Ich habe ein paar Freundinnen in Berlin, ich würde sie gerne mal sehen, aber ich vermisse sie nicht. Vermissen ist für mich etwas Trauriges, und ich bin nicht traurig. Ich weiß, meinen Freunden geht es gut, und irgendwann sehen wir uns wieder.
Unterrichtest du sie unterwegs?
Wir unterrichten uns gegenseitig 🙂 Wir nehmen Schulbücher mit, dabei sucht Anna mit aus, welche Bücher wir für die Reise kaufen. Zum größten Teil sucht sie auch selbst die Themen aus, welche sie durcharbeiten will. Wenn ein Thema aus dem Schulprogramm sie gar nicht interessiert, darf sie ein anderes nehmen. Nur bei Mathematik halten wir uns einigermaßen an den Schulplan.
Ihr seid zwei Mädels alleine unterwegs. Hattet ihr manchmal Situationen, die vielleicht hätten gefährlich sein können?
Nein, wir haben keine wirklich gefährliche Situation erlebt. Ganz umgekehrt – wir haben sehr viele schöne und lustige Situationen gehabt, tolle Menschen getroffen und sehr viel Unterstützung und Hilfe bekommen! Die einzige für mich unheimliche Situation war, als wir in den Flieger von Malaysia nach Bali gestiegen sind. Wir beide waren die einzigen Passagiere am Bord!
Dann sind noch vier weitere Personen eingestiegen, und ich war etwas erleichtert. Das war die Zeit, wo der Vulkan Agung auf Bali ausgebrochen ist. Die Massenmedien haben Horrorgeschichten verbreitet, und niemand mehr wollte nach Bali. Ich habe ein paar balinesische Freunde kontaktiert und sie gefragt, wie die Situation auf der Insel in Wirklichkeit ist.
Wie ich schon vermutet habe, die Lage war nicht mal annähernd so schlimm, wie von Medien dargestellt. Deshalb sind wir hingeflogen. Riskant? Ja, kann sein. Dafür haben wir die einmalige Chance gehabt, die Insel Bali ohne Touristen zu erleben!
Weltreise mit Kind – Wo wart ihr bisher überall?
Ich selbst habe mehr als 60 Länder bereist. Zu zweit mit Anna waren wir in Indonesien, Malaysia, Thailand, Myanmar, Laos, Vietnam, China, Malediven, Singapur, Kambodscha, Australien, Neuseeland, Indien, Mexico, Kuba, so gut wie in allen Ländern Europas, ein paar Ländern in Afrika und natürlich viel in meinem Heimatland Russland.
Wie finanzierst du eure Weltreise?
Das ist die populärste Frage überhaupt. Dazu erzähle ich was im Film. Aber eins kann ich jetzt schon verraten – so eine Reise kostet nicht viel, wenn man nicht unbedingt durch die teuersten Länder der Welt reist und alles richtig vorbereitet. In unserem Fall kostet ein Monat auf Reisen nur 1/3 von der Summe, welche wir für das „normale“ ansässige Leben in Berlin gebraucht haben! Reisen ist für uns eine echte Sparmaßnahme!
Ich kooperiere mit Hotels, mit Reiseagenturen, mit lokalen Unternehmen. Ich mag das Barter-Model (Tauschhandel; Anm. der Red.) sehr. Ich denke, wir alle haben irgendein Talent, was wir mit Menschen auf der anderen Seite der Welt teilen können. Auf diese Weise reisen wir nicht nur einfach von A nach B, sondern helfen anderen Menschen, welche genau das brauchen, was ich gut kann. Durch solche Projekte haben wir jetzt Freunde weltweit, und so macht das Reisen noch mehr Spaß.
Ihr seid 24 h seit ganz langer Zeit zusammen. Fehlt dir nicht manchmal Zeit für dich? Oder deine Tochter, möchte sie manchmal vielleicht ohne Mama abhängen?
Am Anfang war das in der Tat nicht einfach, ein Zimmer und sogar ein Bett teilen zu müssen. Keine Privatsphäre überhaupt. Es blieb uns nichts anderes übrig, als einander besser kennen zu lernen. Diese Prüfung haben wir gut bestanden und sind jetzt ein Super Team. Anna ist die beste Reisekameradin, die ich je hatte!
Planst du wieder zurück nach Deutschland zu kommen?
Ich plane das jedes Jahr, aber dann ziehen wir doch weiter. Nun wissen wir, was Freiheit und selbstbestimmtes Leben sind… und es ist wahnsinnig schwer zurück “ins System” zu kommen.
Was waren eure 5 Top Länder?
Wir beide sind uns einig – Australien, Neuseeland, Indien, Mexiko, Indonesien.
Was waren eure Top 3 besten Begegnungen?
Das ist die schwierigste Frage. In den Jahren auf Reisen habe ich mehr Leute getroffen, welche mich überrascht, begeistert, inspiriert haben, als in meinem ganzen Leben davor! Ist schwer, nur drei zu nennen.
Australien
Es war das orthodoxe Weihnachten, und wir beide saßen in unserem Camping mitten im australischen Nirgendwo und kauten Gurken zum Frühstück, weil wir keine Campingausrüstung zum Kochen hatten. Dann tauchte auf einmal ein Farmer auf und schenkte uns eine Torte! Unerwartet und so passend zu unserem bescheidenen Weihnachtsessen. So haben wir den Farmer John kennen gelernt, und er hat uns wunderschöne Ecken von Australien gezeigt!
Neuseeland
Nach der Landung in Neuseeland wollte ich uns einen Mietwagen am Flughafen nehmen. Das hat nicht funktioniert, weil ich keinen internationalen Führerschein hatte (Neuseeland war das einzige Land, das meinen deutschen Führerschein nicht gut genug fand). So sind wir beide zu Fuß Richtung Stadt marschiert. Nach wenigen Minuten hat ein Auto angehalten, am Steuer war ein junger Mann, namens Johnny.
Er hat uns für ein paar Tage in seinem Haus untergebracht, hat uns geholfen, ein Auto auf der Automesse zu kaufen und hat uns mit kompletter Campingausrüstung versorgt. In Neuseeland haben wir überwiegend wild gecampt und einmal haben wir es uns in einem “falschen” Revier gemütlich gemacht. Früh morgens kamen zwei Männer, so was wie Ordnungsamt.
Ich musste für das falsche Campieren etwas Bußgeld zahlen. Die Männer sind gegangen, aber in 10 Minuten kam der eine von den beiden zurück und hat mir ein Teil des Bußgeldes zurückgegeben. Danach kam der Zweite, er hat uns eine Packung frischer Bio Eier von seinem Zuhause gebracht.
Kaum war der “Zweite” weg, kam wieder der Erste mit einem Motorboot. Er wollte uns unbedingt den See zeigen und einen Ausflug mit dem Boot machen. Meine “Bußgeld-Investition” hat sich an dem Tag 10 Mal rentiert – für das Geld haben wir einen tollen Tag mit viel Programm und positiven Überraschungen gehabt!
Indien:
In Indien haben wir Janu kennen gelernt. Er ist ein «Slamdog Millionär», wie im Film, nur ein echter. Er war keinen einzigen Tag in der Schule, konnte nicht schreiben und nicht lesen. Mit 12 Jahren hat er als Rickshaw Fahrer gearbeitet und so seine Familie ernährt. Ohne einen Führerschein, natürlich, auch ohne eine Rickshaw.
Heute leitet er eine große und angesehene Reiseagentur in Jaipur und besitzt sein eigenes Hotel. Sein Lebenslauf und besonders seine Lebenseinstellung haben mich fasziniert! Sehr viele Menschen haben uns geholfen. Einfach so, ohne eine Gegenleistung.
Was kannst du anderen Familien raten, die auch wie ihr eine Weltreise mit Kind machen wollen?
Nicht lange planen, einfach losziehen. Der Rest wird sich unterwegs ergeben. Mit einem offenen Herzen reisen und nichts vergleichen. Alle, die deutsche Autobahnen in Russland oder italienisches Essen in Indien suchen, werden enttäuscht sein. Aber wenn man sich auf ein Land einlässt und offen bleibt, dann passieren die schönsten Sachen!
Gibt es Menschen, die dich kritisieren für deine Entscheidung?
Ja, besonders am Anfang waren das sehr viele. Einige haben mich für verrückt, leichtsinnig und verantwortungslos dem Kind gegenüber erklärt. In einer Berliner Behörde wurde mir gesagt, dass ich meiner Tochter die Zukunft klaue, weil ich sie aus der deutschen Schule nehme. In einer weiteren “Institution” wurde ich nett gewarnt, dass Interpol uns überall findet, weil das Kind in die Schule muss. Aber solange sich meine Tochter für das glücklichste Kind der Welt hält, ist das für mich ein Zeichen, dass ich alles richtig mache.
Weltreise mit Kind – Die Packliste!
Wir reisen nur mit Handgepäck. Ich schleppe Annas Bücher, meinen Laptop und zwei Kameras. Anna hat ein wenig Spielsachen und ihr Malzeug dabei. Jede von uns hat drei Kleider und max. zwei Paar Schuhe. Wenn sich eine von uns ein neues Kleidungsstück wünscht, muss sie sich von einem alten verabschieden. So bleibt unser Haushalt überschaubar und leicht zu transportieren.
Ich habe keine Impfungen machen lassen. Leichtsinnig? Kann sein. Ich habe da meine eigene Philosophie. Dafür stärken wir unser Immunsystem mit allen uns zugänglichen Mitteln und achten darauf, was wir essen und trinken. Da wir beide kein Fleisch und kaum Fisch essen, ist die Vergiftungsgefahr fast null. Die meiste Zeit kochen wir auch selbst. In fast drei Jahren auf Reisen waren wir kein einziges Mal erkältet und haben nie Magenprobleme gehabt. Schwer zu glauben, aber wahr – das waren bisher die gesündesten 3 Jahre in unserem Leben!
Über ihre Reise hat Svetlana einen Film über ihre Weltreise mit Kind gedreht (Originalton Russisch mit deutschen Untertiteln), der im September 2019 in den deutschen Kinos lief.
Vielleicht hast du dich ja etwas inspirieren lassen und startest auch bald deine Weltreise mit Kind. Mehr Informationen zu Svetlana und Anna findest du auf ihrer Webseite www.travel-films.com.
0 Kommentare